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Internetversorgung: „Uns droht ein Sturm am Glasfasermarkt“

Internetversorgung: „Uns droht ein Sturm am Glasfasermarkt“

Samstag, 03.02.2024

Der Glasfaserausbau stößt an seine Grenzen: Immer weniger Menschen wollen den teuren Anschluss finanzieren. Experte Klaus Hölbling prophezeit eine radikale Auslese am Markt – und fordert die Politik auf, sich einzumischen.

WirtschaftsWoche: Herr Hölbling, Sie befassen sich seit langem intensiv mit dem Glasfasermarkt. Da ist ja in den vergangenen Jahren viel ins Rollen gebracht worden. Wie geht es jetzt weiter?
Klaus Hölbling: Der britische Glasfasermarkt ist dem deutschen um ein paar Monate voraus – was dort gerade passiert, werden wir auch hier erleben. Das Geld von den Risikokapitalgebern ist da. Aber die Banken, die den ausbauenden Unternehmen Finanzierungen zur Verfügung stellen, bekommen kalte Füße. Immer öfter rechnet sich der Glasfaserausbau nicht für die ausbauenden Unternehmen.

Warum?
Die Banken bemerken, dass aus den „Homes Passed“, wo die Glasfaser in der Straße verlegt ist, nicht unbedingt „Homes Connected“ werden. Das sind Haushalte, die den Anschluss ins Wohnzimmer legen lassen und schließlich als zahlende Kunden zu „Homes Activated“ werden. Von 16 Millionen Homes Passed in Deutschland sind nur acht Millionen überhaupt angeschlossen. Von denen aber sind nur vier Millionen umsatzwirksam aktiviert. Banken aber achten zunehmend auf die Kennzahl „Homes activated“. Uns droht ein Sturm am Glasfasermarkt.

Warum ist es so schwierig, die Haushalte anzuschließen?
Die privaten Haushalte erleben gerade eine Kosten-Krise – wegen der Inflation ist in ihrem Budget für Glasfaser wenig Spielraum. Insbesondere, wenn auch mit der bisherigen Verbindung TV-Streaming, Video-Calls und Gaming möglich sind. Wenn aber die Glasfaser in der Straße liegt und die Hausbesitzer die Leitung nicht ins Haus legen lassen, dann ist fraglich, wer diese Aufgabe später übernimmt. Der sogenannte Hausstich ist das Teuerste am Ausbau – und ohne den lässt sich das Kabel in der Erde nicht monetarisieren.

Aber das wissen die Anbieter ja schon länger.
Das stimmt, aber sie hatten sich die Sache anders ausgemalt: Es ist hierzulande wesentlich teurer und auch regulatorisch anspruchsvoller, jedes einzelne Haus anzuschließen, als sie es aus anderen Ländern gewohnt waren. In Portugal etwa wird die Glasfaser auf Masten gespannt und einfach an der Hauswand befestigt. In Deutschland muss dagegen das Kabel in der Regel im Boden verlegt werden. Und nur jeder dritte Haushalt nimmt einen Glasfaseranschluss – die Kalkulationen basieren meist auf deutlich höheren Anschlussquoten.

Bedeutet das, dass mehr Glasfaser-Anbieter in finanzielle Schräglage kommen?
Davon ist auszugehen. In Deutschland gab es zuletzt drei namhafte Insolvenzen: Im Februar 2022 bekam HeliNet Schwierigkeiten, im Januar 2023 ging HelloFiber in die Insolvenz und im Februar 2023 Glasfaser Direkt. Dieser Trend wird sich in diesem Jahr sogar beschleunigen. Unternehmen können binnen weniger Monate von einer soliden Verfassung in eine finanzielle Notlage rutschen.

Was passiert dann?
Einige Anbieter melden Insolvenz an. Andere dagegen werden von Wettbewerbern, Private Equity oder Infrastrukturfonds übernommen. In Großbritannien zeigt sich bereits, welche Folgen das hat: Einen Haushalt anzuschließen, kostet in der Regel 1000 Pfund. Einen fertigen Hausanschluss beim strauchelnden Wettbewerber einzukaufen, kostet dagegen teilweise nur 200 Pfund. Das wird ähnlich auch in Deutschland so kommen. Wir gehen davon aus, dass sich längst nicht alle der über 70 Glasfaser-Unternehmen halten werden.

Aber stellt die technische Integration verschiedener Netze nicht ein ziemliches Problem dar?
Die Kosten einer Integration werden tatsächlich häufig unterschätzt. Solche Übernahmen lohnen sich erst ab einer gewissen Größenordnung. Die Frage der erwarteten Synergien hängen davon ab, wie komplementär die Netze sind. In der Vergangenheit wurde daher der Netzausbau lieber aus eigener Kraft gestemmt. Wenn man kleinere Anbieter im Notverkauf übernehmen kann, macht eine Übernahme durchaus Sinn.

Drohen uns verwaiste Kabelstrecken, die niemand betreiben wird?
Das sehe ich nicht. Investoren werden strauchelnde Konkurrenten übernehmen und deren Vorhaben weiter vorantreiben.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Gigabitstrategie der Bundesregierung?
Die bisherige Strategie, den Ausbau auch in unrentablen Landstrichen zu fördern, führt bisher zu vielen „Homes passed“ – aber nicht zu tatsächlich angeschlossenen Haushalten. Die Vermeidung von „Überbau“, also dass zwei oder mehr Konkurrenten Glasfaser in derselben Straße verlegen, spielt hier eine wichtige Rolle. Dass ein Verbot eingeführt wird, ist aber nur schwer vorstellbar. Besser wären Anreize, damit mehr als nur im Schnitt 30 Prozent der Haushalte ihren Glasfaseranschluss aktivieren. Die Bundesregierung könnte analog zu der Förderung von Elektroautos eine Glasfaserförderung für Haushalte beschließen.

Kommt der Glasfaserausbau ganz zum Stillstand?
Das erwarte ich nicht. Dafür ist der Glasfaserausbau für unser Land zu wichtig. Allerdings drohen Verzögerungen im Fall von gefährdeten Finanzierungen oder gar Insolvenzen. Das gilt insbesondere für unrentable ländliche Regionen, was bedeutet, dass der ländliche Raum weiter zurückfällt. Dies wird gerade mittelständische Unternehmen treffen, die ohnehin schon mit dem wirtschaftlichen Abschwung zu kämpfen haben.

Den Link zum Interview und zur Pressemitteilung finden Sie hier.

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